Das Kollegium.

Die Ziele der sich der Verein in seinem Manifest selbst gegeben hat sind allgemein zustimmungsfähig, was vielleicht auch daran liegt, daß sie wenig Konkretes enthalten. Daß eine Gruppe von Piraten einen Verein gründet um programmatisch zu arbeiten ist etwas seltsam – es gibt in der Partei schließlich genügend bewährte und etablierte Formen der Zusammenarbeit. Soweit seltsam aber harmlos.

Auffallend ist, daß sich in der Gründungsmannschaft dieses Kollegiums viele Personen finden, die Schlüsselpositionen in der Partei innehaben.
Bedenklich ist zudem, daß es sich bei diesem Kollegium nicht um eine offene Struktur der Partei handelt, sondern Zulassungsbeschränkungen geplant sind um die Exklusivität des Zirkels zu erhalten.
Angeblich wurde das Kollegium gegründet um inhaltlich effizient arbeiten zu können, um dann Anträge für die Parteitage zu erstellen. Gegen diese Behauptung sprechen allerdings der geheimnisvolle und extrem öffentlichkeitswirksame Gründungsprozess: Praktisch alle Parteimitglieder haben von der Gründung erst durch die Presse erfahren.

Die Vermutung liegt nahe, daß der eigentliche Beweggrund dieser Gruppe darin besteht ein geschlossenes Netzwerk zu bilden mit dem Ziel Macht, Meinungs- und Deutungshoheit innerhalb der Piratenpartei zu erlangen.

Basisdemokratie.

Die Gründung erfolgte, nach Aussagen des Kollegiums, aus Unzufriedenheit mit den basisdemokratischen Prozessen in der Partei. Nun ist Basisdemokratie bekanntlich kein leichtes Geschäft – zumindest nicht in größerem Rahmen. Die Piratenpartei hat inzwischen eine Größe erreicht in der Basisdemokratie mit klassischen Werkzeugen und Prozessen kaum mehr praktisch durchführbar ist. Die Grünen sind bekanntlich daran gescheitert und inzwischen strukturell von einer der Legacy-Partei wie CDU/CSU/SPD/FDP/… nicht mehr zu unterscheiden.

Die Piratenpartei ist unter Anderem mit dem Anspruch angetreten diese Grenze zu überwinden und mit Hilfe moderner Informationstechnologie und vernetzten Kommunikationsmitteln Mittel und Wege zu (er)finden Basisdemokratie im großen Maßstab zu ermöglichen. Bisher ist den Piraten allerdings die Quadratur des Kreises noch nicht gelungen, in der Partei wird immer noch daran gearbeitet. Versuche mit neuen Arten der politischen Kommunikation und Meinungsfindung, wie z.B. virtuelle Treffen im Mumble, Liquid Feedback, PiratenPads, etc. sind im Gange und zeigen den Willen der Piraten dieses Problem anzugehen.

Die Führungsstrukturen des Landesverbands Bayern hat mit diesen neuen Wegen aber schon immer gefremdelt, wie die quälend langsame Einführung von Liquid-feedback und geschlossene Mailinglisten (auf die einige in den Vorständen auch noch stolz sind) zeigen.

Ein großer Schritt in die falsche Richtung.

Das Kollegium versucht nun die (tatsächlich vorhandenen) Probleme mit der Basisdemokratie dadurch zu lösen, daß sie Prozesse und Strukturen der Legacy-Parteien adaptieren und gehen damit einen großen Schritt in die falsche Richtung. Es ist die Kapitulation vor den Aufgaben die sich die Piraten gestellt haben. Dies sind nicht die Werte die zur Gründung der Piratenpartei geführt haben, und es sind auch nicht die Ziele der Menschen die in die Partei eingetreten sind.

Bei Verfolgung dieser Strategie ist eine Entwicklung wie sie die Grünen durchgemacht haben absehbar – warum auch sollte bei den Piraten funktionieren, was bei anderen nicht funktioniert hat, wenn sie es genauso machen wie ihre gescheiterten Vorgänger. Das Resultat wäre eine Zerstörung der Piraten von innen heraus, nicht durch Streit oder Kommunikationsprobleme sondern durch Verlust der identitätsstiftenden Werte und Ziele.

Und nun?

Dieser Abspaltungsversuch der Parteiführung trifft die Piraten in einem ungünstigen Moment. Landes- und Bundeswahlen stehen vor der Tür, Kandidaten sind bereits aufgestellt, darunter etliche jetzige Frankfurter Kollegiumsmitglieder.
Unter normalen Umständen wäre ein reboot der Partei angesagt, ob das im Moment eine gute Wahl ist, weiß ich nicht.

♲ Update (2012-12-21)

Eine Initiative das Kommunikationsproblem anzugehen, statt vor ihm zu kapitulieren wurde von belze gestartet: Das Frankfurter Kollegium & die „reine Lehre“.